Ein Haus in Shanghai

Der Dokumentarfilm schildert liebevoll und zugleich spannungsvoll die erstaunliche Begegnung zwischen der Filmemacherin Chao Gan und Herrn Jiang, einem eigenbrötlerischen Hausbesitzer. Der 60-jährige Mann hat nie in seinem Leben gearbeitet und war nie verheiratet. Jetzt steht seinem großen Haus in Shanghai der Abriss bevor. Offen, mitunter sogar provozierend, fühlt Filmemacherin Chao Gan einem exzentrischen Einzelgänger, der sein zum Abriss bestimmtes Haus in Shanghai nicht verlassen will, auf den Zahn. Zunächst dokumentiert sie das eintönige Leben ihres Protagonisten, dann spürt sie seine Schwächen auf: seinen Sparzwang, seine Weigerung zu heiraten, aus Angst, dass sein Haus vereinnahmt wird, seine kleinbürgerlichen Angewohnheiten.

Hinter den manchmal fast beleidigend klingenden Worten Gans verbirgt sich eine mitfühlende Verbundenheit. Und Herr Jiang kümmert sich rührend um seinen Gast. Es entsteht eine gefühlvolle Beziehung, die den Wunsch nach Demütigung und Bewusstwerdung einschließt. Den roten Faden des Dokumentarfilms bilden Jiangs Erinnerungen: Er wuchs in einer begüterten Familie auf, nach der Kulturrevolution ließen ihn erst der Vater, dann die Mutter allein in dem großen Haus zurück. Chao Gan gelang ein mutiger und zugleich anrührender Film, der aus nächster Nähe die Persönlichkeit eines seltsamen und dennoch liebenswerten Mannes zeigt und gleichzeitig Einblicke in die Geschichte einer Stadt gibt, die heute im Namen der Moderne auf Ruinen neu erbaut wird.

China, 2004, 54 min
Regie: Chao Gan, Zi Liang