Abgestempelt? Leben mit Hartz IV
Release: Abgestempelt? Leben mit Hartz IV
- Datum: 10.04.2010
Seit Monaten führt Werner F. einen verzweifelten Kampf um das Allernötigste: Der arbeitslose Kraftfahrer und Hartz-IV-Empfänger aus Mainz hat zwar eine Wohnung, aber keine Möbel. Keinen Schrank, keinen Stuhl, keine Küche. Stattdessen stapeln sich bei ihm Berge von Akten; denn seine Anträge bleiben oft unbearbeitet, seinen Sachbearbeiter bekommt er nicht zu sehen und nicht ans Telefon. Michael R. ist fast noch schlimmer dran. Er wohnt bei seiner Mutter, der Rentnerin Gisela R., in einem kleinen Häuschen. Der Strom ist abgestellt, ebenso Gas und Wasser, wegen Zahlungsrückständen, weil sie Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten. Michael R. und seine Mutter sitzen im Dunkeln und frieren. Das Wasser zum Spülen müssen sie aus einer Regenwassertonne holen. Kühlschrank und Herd sind seit langem tot, nur ein Campingkocher funktioniert noch. Das Amt will die Rentnerin Gisela R. zwingen, ihr Häuschen aufzugeben, was sie und ihr Sohn aber nicht wollen. Doch das Amt sagt: Erst wenn sie ausziehen, gibt es Hilfe. Ein fast aussichtsloser Kampf, bei dem sie um jede Kerze feilschen müssen. Hartz IV – was bedeutet das im Agenda-Jahr 2010? Die Autoren Thomas Reutter und Sylvia Nagel sind auf Spurensuche gegangen und ihr Befund ist bedrückend: Sie begegnen Menschen wie Ina M., gelernte Kommunikationskauffrau, alleinerziehende Mutter. Erst kämpfte sie gegen die Krise, gegen den sozialen Abstieg. Jetzt ist sie fast ganz unten angelangt, verliert ihre Wohnung. Schon vor Monaten hat sie einen Antrag auf Arbeitslosengeld II gestellt, doch das Amt lässt sie und ihr Kind hängen. Bei Mandy D. sieht es ähnlich trostlos aus: Seit der Geburt ihres Sohnes vor elf Jahren lebt sie von Unterstützung. Sie hat eine Berufsausbildung und möchte unbedingt arbeiten. Doch die Angebote, die sie bekommt – auch zur Weiterbildung – passen nicht in ihren schwierigen Alltag mit einem Kind, das wegen einer Erkrankung besondere Unterstützung braucht. Wolfgang D. hat bereits alles verloren: Ihm hat die Arge so lange die Leistungen gekürzt, bis er sich auf einer Pritsche im Obdachlosenasyl wiederfand. Selbst seine Anwältin konnte ihn vor so viel zielgerichteter Sanktionierung nicht bewahren. Die Autoren versuchen aber auch, die andere Seite zu beleuchten: Unter welchem Entscheidungsdruck stehen die Sachbearbeiter bei der Bundesagentur für Arbeit, bei den Jobcentern oder der Arge? Wie kommt es, dass so viele falsche Bescheide ergehen, die von Sozialgerichten wieder aufgehoben werden müssen? Die Ursachenforschung liefert keine einfachen Antworten. Die Probleme sind vielschichtig. Im Jahr fünf der größten Arbeitsmarktreform in Deutschland scheint aber eines sicher: Vielen Menschen ist Hartz-IV keine Hilfe, kein “Fördern und Fordern”, sondern vielfach das Gegenteil: Fachleute sprechen von unsinnigen Maßnahmen, sogar von Willkür. Die Reform droht, ihre Ziele zu verlieren.
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